Der Konflikt in um um Palästina resp. Israel ist nicht nur Jahrtausende alt, sondern entzweit auch immer wieder außenstehende Beobachter:innen. Die Bandbreite zwischen legitimen Befreiungskampf, Ringen um einen (oder gar zwei?) eigene/n Staat/en, Terror und Verbechen bis hin zu offenem oder auch subtil versteckten Antisemitismus könnte kaum größer sein.
Foto: Ted Eytan, flickr | CC BY-SA 2.0 Generic
Im aktuellen Fall bewegt ein beispiellos brutaler Terrorakt vom 7. Oktober - perfide geplant und in aller Unmenschlichkeit durchgeführt von einer Verbecherbande namens Hamas die Weltöffentlichkeit.
Kaum ist der Leichengeruch nicht mehr wahrnehmbar, sind die Rauchschwaden abgefackelter Zivilist:innen verweht und die verstümmelten Leichen beigesetzt - tummeln sich schon die Relativierer aller Couleurs auf der politischen Bühne und versuchen mit ihrem "ja aber" die Verbrechen der steinzeitlichen Gotteskrieger in ein anderes Licht zu rücken.
Das palästinensische Volk - als Streitpartei per se - würde ich ja noch verstehen, die fahnenschwenkenden Pro-Palästina-Fans aus aller Welt schon weniger. Und für die sich vormals der Aufklärung verschriebenen (so genannten) Linken fehlt mir nicht nur die Fähigkeit, ihre Parteilichkeit zu verstehen, sondern auch jegliches Verständnis. Ich schicke voraus, dass ich stets zwischen "Verstehen" und "Verständnis" differenziere.
Da berichtet eine israelische Forensikerin von einem Leichenfund in einem vom Hamas-Überfall betroffenen Dorf. Zuerst glaubte man, eine verbrannte Frau gefunden zu haben. Bei näherem Hinsehen mussten die Bestatter feststellen, dass es sich um zwei Menschen handelte: eine junge Mutter, die ihr kleines Kind umklammerte. Verschmolzen im Feuer, das die Hamas-Verbrecher durch Übergießen mit Benzin zu verantworten haben.
Diese Unmenschlichkeit wird von den Relativierern - die sich im gleichen Atemzug leider auch noch oft das (Tarn)Mäntelchen der Friedensbewegung überziehen - alsbald mit einem Zynismus sondergleichen weggewischt und mit Verweis auf Kinder unter den Bombenopfern im Gazastreifen aufgewogen. Als wäre es mittlerweile üblich, Tote gegen Tote aufzurechnen. Als würde die Waage der Moral und Ethik ausschlagen, je nachdem, wie viele Leichen sich in jeder Waagschale stapeln.
Die Hamas ist keine Befreiungsbewegung.
Die Hamas ist eine verbrecherische Bande an mittelalterlichen Gotteskriegern, vergleichbar (oder vielleicht noch schlimmer?) mit dem Daesh/IS, den Taliban und Boko Haram und was es sonst noch an pervertierten Auswüchsen dieser religiösen Fanatiker gibt. Die Hamas gibt vor - wahrscheinlich im letzten oder vorletzten Punkt ihrer Agenda [1] - das Unrecht der palästinensischen Vertriebenen und Staatenlosen zu bekämpfen. An erster Stelle stehen jedoch Terror, Frauenhass, überkommende Gottesgesetze, Bildungsfeindlichkeit, Ausbeutung der eigenen Leute und Korruption.
Dass Befreiungsbewegungen in aller Welt nicht immer zimperlich agieren können, zeigt uns die Geschichte und lässt uns auch zwischen Verstehen und Verständnis changieren.
Wer die aktuellen Geschehnisse in Israel jedoch auf die Konflikte der vergangenen 50, 70 oder mehr Jahre projizieren würde, der müsste mit Grauen die Geschichtsbücher umschreiben. Stellen wir uns nur vor, die schwarze Bevölkerung Südafrikas hätte mit hunderten Raketen Johannesburg und Pretoria bombardiert. Nelson Mandela hätte aufgerufen, alle Weißen in den Gewässern rund um Kapstadt zu ersäufen.
Oder die IRA wäre über die Zäune Dublins geklettert und hätte in den frühen Morgenstunden hunderten Engländern die Kehle durchgeschnitten. Junge, deutschsprachige Südtiroler hätten wahllos italienische Frauen vergewaltigt. Basken hätten hunderte Spanier als Geiseln genommen um sie als menschliche Schutzschilde einzusetzen. Bei ihrem Morden hätten die Südtiroler, oder die Schwarzen...man kann in diesen Beispielen einsetzen, was einem beliebt...ständig gerufen "Gott ist groß und Jesus ist der Heiland!".
Aber jetzt - einige Schrecktage nach den Anschlägen - wagen sich die Relativierer, die Hamasversteher aus der Deckung und gehen auf Demos. Skandieren über die Ungerechtigkeit der Landverteilung - ja auch des Landraubes, wie man zugeben muss - in diesem Landstrich und mokkieren sich, dass zu wenig Bilder der Opfer in Gaza zu sehen sind. Mit dem Palästinensertuch um den Hals fühlt man sich - ohne auch nur mit einer Silbe die Hamas-Anschläge zu verurteilen - auf der richtigen Seite.
Es gibt aber kein Richtig und kein Falsch.
Verbrechen sind stets zu benennen, als das was sie sind. Und - ja - sie sind auch einzuordnen. So wie jede Straftat auch. Es gibt Totschlag, Mord, vorsätzlichen Mord, Femizid, Genozid und noch viel mehr an Abgründen. Die Opfer bleiben tot, aber für die strafrechtliche Einordnung und Ahndung sorgt ein gesellschaftlicher Konsens von Gerichtsbarkeit und juristischer Einschätzung. Im Mordprozess ist es unerheblich, wie lange gegebenenfalls ein vorangehender Nachbarschaftsstreit gedauert hat. Das sollten vielleicht aktuell auch die Hamas-Versteher einmal bedenken.
Jene, die bei diesen Demos auch grad wieder ihre Liebe und Solidarität für eine unterdrückte Ethnie entdecken. Jene, die - so unterstelle ich jetzt einmal ganz positiv im Sinne der guten Sache und einem grenzübergreifenden Moralverständnis - auch in den letzten Jahren auf Demos für die Polisario oder die Rohinja gegangen sind. Die (hoffentlich) Mahnwachen für enteignete Indios organisiert haben, die laufend vor dem türkischen Konsulat gegen die Verfolgung der Kurden protestieren. Und die - weil man muss ja immer beide Seiten sehen - vermutlich auch gegen Steinigungen, Zwangsehen, Kindersoldaten, Durchsetzung von Scharia-Urteilen in der abartigen Welt der Hamas auf die Straße gegangen sind. Oder etwa nicht???
Ja natürlich müssen sich die Palästinenser verteidigen. Mit den Mitteln der Hamas? Genauso wie auch überall Sioux im Mittelwesten der USA amerikanische Farmer köpfen? Wie Indios brasilianische Lehrer in den Gymnasien erstechen oder wie ständig irgendwelche Tibeter in der Wiener Innenstadt Amok laufen um auf die Unterdrückung ihres Glaubens hinweisen oder den guten Ruf ihres Lamas verteidigen wollen? Klar...
Die Sache der Hamas gewinnt ja auch damit massiv an Glaubwürdigkeit, dass ihr Führer mitten in Gaza-Stadt sein leidgeprüftes Volk vertritt. Ähm...nein, das ist der Selensky. Der sitzt in Kiew und ist nicht ins Exil nach Polen oder wo gegangen. Ismail Haniyya - der Häuptling der Kopfabschneider - hingegen kommandiert im sicheren Qatar die Selbstmordattentäter seiner Heimat [2].
Kalkulierter Selbstmord
Apropos Selbstmord: dass diese Anschlagserie genau jetzt und in dieser Phase der politischen Entwicklungen gekommen ist, liegt natürlich in der perfiden Strategie der Hamas. Einerseits ist der Westen beschäftigt und in den Mittel stark gebunden im Ukraine-Krieg. Andererseits musste geradezu ein anstehendes Übereinkommen, eine Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien rechtzeitig boykottiert und verhindert werden. Im Übrigen würde jede politische - also auf dem Verhandlungsweg zustandekommende - Lösung des Nahostkonflikts die Existenz der Hamas obsolet machen. Eine Zwei-Staatenlösung etwa, oder ein dauerhafter Friede zwischen Israel und Palästina...wer würde dann noch eine Hamas brauchen? Also bitte. Was wäre denn dann mit allen Geldmitteln von Verbündeten oder der UNRWA? Wie könnte man dann die Korruptionsmaschine schmieren?
Gleichzeitig wird auch eine gewisse Form des Selbstmordes im großen Stil in Kauf genommen. Dass Israel zurückschlagen würde/wird, muss selbst dem dümmsten Hamas-ler klar gewesen sein. Dass das nicht ohne grausliche Bilder über die Bühne gehen wird und dass dabei nicht die eigene Zivilbevölkerung verschont bleiben würde, liegt auch auf der Hand. Diese Eskalation ist von vornherein einkalkuliert. Schaffe Märtyrer, zeichne ein neues Bild von den bösen Israelis und erwecke weltweite Aufmerksamkeit!
Schaffe ein Narrativ
Mit den Entwicklungen, den vielen Bildern, der Erschütterung, der Dramatik wurde ein derart gewaltiges Echo weltweit erreicht, dass auch viele bis dato Unbeteiligte aufgerüttelt werden. Schläfer in der ganzen Welt wurden geweckt. Nach der vermeintlichen Ruhe nach dem Niedergang des IS besteht wieder die Gefahr eines globalen Aufflackerns islamistischen Terrors. Genährt von den bewusst, strategisch herbeigeführten Bildern und Narrativen, die sich seit 7. Oktober zeigen.
Der israelische Geheimdienst und die IDF wurden durch das Strategem Nr. 27 (so nennt man u.a. "Kriegslisten". Abgeleitet von einem chinesischen General des Altertums [3]) des "Verrücktheit vortäuschen" überrascht. Die in der Folge weltweit errungene Aufmerksamkeit zählt zu einer weiteren strategischen List in diesem grausamen Spiel mit dem Faustpfand namens palästinensisches Volk.
Wenn jetzt um die Deutungshoheit in diesem Konflikt gerungen wird, so bleibt es dennoch bei einem bewusst herbeigeführten Dilemma, in dem beide Parteien schlecht aussehen. Die Bewohner des Gaza-Streifens, weil sie die - natürlich erwartbare - Revanche der israelischen Seite ausbaden müssen. Und auch die Israelis. Einerseits durch ihr ureigenes "9/11" der jüngeren Zeitgeschichte und andererseits durch den Imageschaden auf Grund von Kollateralschäden, die zwangsläufig bei einem Gegenschlag entstehen werden.
Hätten die Amis die Dresdner gewarnt?
Da hilft es nicht viel, dass die IDF (israelische Armee) vermutlich die einzige Armee der Welt ist, die vor ihren Aktionen die Betroffenen mit Flugzetteln vorwarnt. Man stelle sich nur vor, die Amerikaner hätten damals bei ihrer Befreiung Deutschlands vor den Naziverbrechern (die Hamas steht denen im Übrigen kaum in etwa nach) die Bewohner Dresdens beispielsweise vor den Bombardements gewarnt und zur Evakuierung aufgerufen!
Auch damals hätten die Nazis jeden erschossen, der diesem Aufruf gefolgt wäre. Heute hindert die Hamas ihre eigenen Leute (für deren "Befreiung" sie ja vorgeblich eintreten) an der Flucht in die südlichen Teile des Streifens.
Nur so nebenbei eine kleine Fußnote der Geschichte: Mohammed Amin al-Husseini, der damalige Mufti von Jerusalem und ein palästinensischer Nationalist lebte ab 1941 im deutschen Reich und betrieb von dort aus antisemitische Propaganda.
Mir würde - bei allem noch so angestrengtem Nachdenken - kein einziger Grund einfallen, wie diese barbarische Aktion der Hamas dem palästinensischem Volk auch nur irgendwo und im allerkleinsten Schritt geholfen hätte oder in der Sache etwas vorangebracht hätte. Auch das sollten die ganzen Relativierer und Hamas-Versteher einmal vor dem geistige Auge durchspielen und sich dann vielleicht einmal zu entscheiden, wie man die Konflikte dort unten auf die einzige Art und Weise lösen könnte: durch Verhandlungen und nicht mit Steinewerfen im Namen Allahs. Zum Teufel noch mal.
Die Hamas meint im Übrigen zu "Friedliche Lösungen, Friedensinitiativen und internationale Konferenzen"...
Hamas-Charta, Artikel 13: Derartige Initiativen, sogenannte friedliche Lösungen und internationale Konferenzen zur Lösung der Palästina-Frage stehen im Widerspruch zur Ideologie der Islamischen Widerstandsbewegung. Denn der Verzicht auf auch nur einen Teil Palästinas ist ein Verzicht auf einen Teil des Glaubens. Der Patriotismus der Islamischen Widerstandsbewegung ist fester Bestandteil ihres Glaubens. Auf diesen Grundsatz hin erzieht sie ihre Mitglieder, die im Dschihad dafür kämpfen, das Banner Gottes über ihrem Land aufzupflanzen."
Und ich bleibe bei meiner Meinung: Religion soll sich aus der Politik heraushalten. Viele Kriege dieser Welt wurden im Namen irgendwelcher Götter oder eines einzigen, meist als sooo liebevollen Gottes geführt. Allein dadurch führen sich Religionen schon ad absurdum. Glaubt's eure Märchen und Phantasien für euch bitte selber, aber lasst's die Menschen damit in Ruh!
1) Zur Charta der Hamas: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf
2) Ismail Haniyya (arabisch إسماعيل هنية); * 29. Januar 1963 im Flüchtlingslager Asch-Schati im Gazastreifen) war von März 2006 bis Juni 2007 Ministerpräsident der Palästinensischen Autonomiegebiete. Seit 2017 ist er Chef der Hamas. 2018 verließ er den Gazastreifen und hält sich seitdem in der Türkei (wo er sich im Juli '23 mit Erdoğan und Abbas traf) und Katar auf.
3) Tan Daoji (chinesisch 檀道濟 / 檀道济, Pinyin Tán Dàojì, Jyutping Taan Douzai; † 436) war ein hochrangiger General der chinesischen Südlichen Song-Dynastie.
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